C.G.Jung, GW, Band 18/2, §1095 ff.

Bild-7… Die Individuation entzieht den Menschen der persönlichen Einstimmigkeit und damit der Kollektivität. Das ist die Schuld, die der Individuierte der Welt hinterlässt und die er einzulösen sich bemühen muss. Er hat an Stelle seiner selbst ein Lösegeld zu zahlen, das heißt, er muss Werte hervorbringen, die seine Abwesenheit in der kollektivpersönlichen Atmosphäre äquivalent ersetzen. Ohne diese Wertproduktion ist die endgültige Individuation unsittlich und noch mehr als das: nämlich selbstmörderisch. Wer keine Werte schaffen kann, opfere sich bewusst dem Geist kollektiver Einstimmigkeit. Dafür ist ihm die Möglichkeit gegeben, die Kollektivität, der er sich opfern will, zu wählen. Nur in dem Maß, in dem einer objektive Werte schafft, kann und darf er sich individuieren. Mit jedem Schritt höher in die Individuation wird neue Schuld geschaffen und neue Sühne nötig. Daher ist Individuation nur insofern möglich, als ersetzende Werte produziert werden. Individuation ist ausschließlich Anpassung an die innere Realität und daher ein „mystischer“ Prozess.

(…)Wenn daher in der Analyse die unter der ausnahmsweisen Übertragung verborgene Individuationsforderung auftritt, so bedeutet dies den Abschied von der kollektiv-persönlichen Einstimmigkeit und den Übertritt in die Einsamkeit, in das Kloster des inneren Selbst. Der Außenwelt bleibt nur der Schatten der Persönlichkeit sichtbar. Daher die Verachtung und der Hass von Seiten der Sozietät. Die innere Anpassung aber ermöglicht die Eroberung der inneren Realitäten, woraus Werte für die Wiedergewinnung der Kollektivität gewonnen werden.

(…)

Individuation und Kollektivität sind ein Gegensatzpaar, zwei divergente Bestimmungen. …

(aus: C.G.Jung, Gesammelte Werke, Band 18/, Das symbolische Leben, Walter Verlag 1995)